Kapitel 6: Signal
Die Herkunft des Notsignals kam immer näher und Kathrin sah ein brennendes Bergbauschiff. Um das Schiff verstreut schwebten die Überreste der Triebwerke und aufgerissenen leere Säcke, die einst Satteltaschen gewesen waren. Kathrin verlangsamte die Aasgeier und öffnete einen Kanal zu den drei Passagieren, die in Lebensgefahr waren. „Kathrin an die Passagiere des havarierten Schiffs. Ich habe euer Notsignal empfangen. Benötigt ihr Hilfe?“ fragte sie besorgt. Eine Frauenstimme am anderen Ende und antworte verzweifelt: „Hier ist Sabrine. Ja wir brauchen Hilfe. Maik ist bewusstlos und schwer verwundet. Uns anderen geht es gut. Bitte helfen sie uns!“ Kathrin musste schwer schlucken und dachte: „Die Aasgeier ist nicht für vier weitere Personen konzipiert. Höchstens zwei. Aber der Laderaum ist groß genug. Okay, wenn sie sich mit der Packsicherung festmachen, sollte das gehen.“ Dann beantwortete Kathrin den Hilferuf, nachdem sie einen Plan konzipiert hatte: „Okay, ich docke an euch an. Haltet euch bereit.“
Kathrin machte längsseits am havariertem Schiff fest und ließ die Luftschleuse der Aasgeier ausfahren. Im Inneren der zerstörten alten Lady hörten die drei Mitarbeiter der Regolith, wie die Luftschleuse magnetisch verriegelt wurde. „Ihr könnt herüberkommen. Durchgang ist gesichert“, kam es über Sabrine’s ARA. Matthias und Erat schnappten sich Maik und schleppten ihn hinüber. Sabrine sammelte noch das Letzte, was sie auf der alten Lady bergen konnte, ein und folgte ihnen. Sie seufzte, als sie auf der Luftschleuse noch einmal umdrehte, um noch einmal zurück auf ihr altes Schiff blicken zu können. Sie verabschiedete sich von ihr und ging hinüber zur Aasgeier.
Kathrin wartete mit einem Medizinkasten auf die Flüchtlinge im Laderaum der Aasgeier und öffnete ihnen die Schleuse. Sabrine bedankte sich überschwänglich bei ihrer Retterin. Ihre beiden Begleiter legten Maik in die Mitte des Raums und rollten ihren Jacken zu einem Kissen, welches sie unter seinen Kopf schoben. Kathrin übergab den Kasten an Sabrine mit den Worten: „Hier, ich hoffe, dass hilft eurem Begleiter. Bitte bleibt hier unten, ich werde schon einmal Kurs zur nächsten Basis setzen.“ Sabrine nahm den Medizinkasten dankend entgegen und setzte sich neben Maik. Beim Aufmachen des Kastens, fragte sie Kathrin: „Das ist die Domingo Station, richtig? Wir sind von der Regolith.“ Kathrin wollte sich am liebsten selber ohrfeigen. Sie dachte sich:„Diese Flüchtlinge waren von Marquos angegriffen und nun sitzen sie wie nasse Hunde in meinem Laderaum. Was mache ich hier?“ Dann blickte sie in Sabrines Gesicht und lächelte leicht. Sie antwortete ihr ausweichend: „Sorgt dafür, dass euer Kollege wieder zu Bewusstsein kommt. Ich bringe euch in Sicherheit.“ Dann, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kletterte Kathrin zurück in ihr Cockpit. Sabrine blickte ihr für einen Moment schweigsam hinterher, widmete sich dann wieder der medizinischen Verpflegung von Maik. „Komm schon Maik, bitte verlass mich nicht“, flehte sie ihn an.
Kathrin schlenderte gedankenverloren durch ihr Cockpit und prüfte im Vorbeigehen des angeschlossenen Armbands dessen den Status. Das Knacken der Verschlüsselung benötigte nur noch wenige Minuten. Kathrin gab über Funk in den Laderaum durch, dass sie in Kürze springen werden und die Passagiere sich an der Rückwand festschnallen sollen, damit sie nicht von der Beschleunigungskraft erdrückt werden.
Sabrine war überglücklich, als Maik wieder seine Augen öffnete. Sie nahm sein Kopf in ihre Hände und gab ihm ein Kuss auf die Stirn. Maik lächelte ihr matt entgegen. „Du hast mir Sorgen gemacht, Maik! Komm, wir müssen uns anschnallen!“, sagte sie hastig und half ihm auf die Beine. Sabrine brachte ihn an die Rückwand, wo sie ihn und sich selbst festmachte. Ihre beiden Kollegen folgten ihrem Beispiel. Dann signalisierte sie über die Gegensprechanlage Kathrin, dass sie gesichert und bereit für den Sprung sind.
Der Druck der des Haupttriebwerks machte sich bei ihnen in den Knochen bemerkbar und kurze Zeit später war der Knall des Sprungs ohrenbetäubend laut in dem Laderaum zu hören. Der Druck ist verflogen und sie waren in Schwerelosigkeit. Sabrine atmete tief ein. „Passt mir auf Maik auf, ich muss mit unserer Retterin reden“, bat sie die anderen und schnallte sich ab. Mit aktivierten Magnetstiefeln stapfte sie durch den Laderaum und erklomm die Leiter ins Cockpit.
Kathrin hörte sich derweil die Aufzeichnungen, die sie auf dem Armband gefunden hatte, an. Erst ging es um banale Anrufe zwischen Filipe und seinen Freuden und Familie. Dann kam sie zu den interessanteren Gesprächen und ein verzerrtes Bild offenbarte sich ihr. Die Familie von Filipe, dem Besitzer des geborgenen ARAs, wurde von der hoch angesehenen Solaire entführt. Diese, oder zumindest ein Agent der Firma erpresste ihn damit und forderte von ihm, dass er ein Störsender auf seinem Schiff für ein Jahr aktiv halten müsse und sonst wie gewohnt für die Regolith arbeitet. Kathrin blickte fragend auf den Störsender, den sie geborgen hatte. „Piraten werden von imperiale Großkonzerne angeheuert, um Konkurrenten auszuschalten. Wir sind doch nicht deren verdammte Schoßhündchen. Was ist das für ein Mist?“, fluchte Kathrin und ihr Blick verfinsterte sich. Sie drehte sich samt ihrem Pilotensitz um und sah, wie Sabrine sie und die Aufzeichnungen belauschte.
Kathrin schloss peinlich berührt ihre Augen und dachte daran, wie sie sich gerade einer imperialen Bürgerin als Piratin zu erkennen gab. Sabrine’s Hand fuhr hinter ihrem Rücken, wo sich eine Notfallpistole befand. Kathrin blinzelte Sabrine fragend an. Bevor sie sich erklären konnte, eröffnete Sabrine das Wort und fragte sie nach der Wahrheit: „Du bist eine Piratin, oder? Warum habt ihr uns das angetan?“ Kathrin war unbewaffnet. Im Cockpit, neben Sabrine war ein Waffenschrank, aber dieser schien in diesem Moment in weiter Ferne zu sein. Sie musste die Situation mit Worten lösen: „Ja ich bin eine Piratin und nein, ich habe nichts mit dem Übergriff zu tun! Ich habe euch ohne Hintergedanken aus dem Wrack gezogen. Stell bitte keine Dummheit an.“ Dann versuchte sie von der Situation abzulenken und fragte mit besorgter Miene nach Maik „Maik geht es gut, danke dafür. Wohin geht unsere Reise?“ fragte Sabrine nervös. Ihre zitternde Hand umschloss die Pistole. „Wir fliegen nach Tempin. Das ist meine Heimat. Wenige Stunden von hier entfernt. Euch wird nichts passieren“, versprach Kathrin. Sabrine zückte die Pistole hinter ihrem Rücken und versuchte Kathrin zu bedrohen, diese riss instinktiv ihre Hände nach oben. Sie forderte Kathrin auf, dass das Schiff Kurs auf die Domingo Station nehme. Kathrin schüttelte ihren Kopf und redete mit sanfter Stimme auf Sabrine ein: „Wenn dieser Angriff wirklich von der Solaire geplant war und Filipe erpresst wurde. Dann würde Solaire auf uns dort warten. Sie würden mit uns die letzten Spuren verwischen. Dir liegt etwas an Gerechtigkeit, oder?“ Sabrine blinzelte, sie hatte nicht mit diesem Argument gerechnet. Sie hielt weiter ihre Pistole auf Kathrin gerichtet, aber sie zitterte stärker. Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit, als sie Kathrin anschrie: „Ja. Gerechtigkeit für meine Familie und Freunde, die auf der Oblate-B von euch Piraten getötet wurden!“ „Und Gerechtigkeit wirst du bekommen. Aber nicht, indem du mich tötest, sondern indem wir die Aufnahmen öffentlich machen! Ich kenne einen Informationshändler, er wird uns dabei helfen können“, bot Kathrin ihr an. Sabrine sicherte die Pistole und verstaute diese auf ihrem Rücken. Kathrin atmete erleichtert aus. Sabrine war einverstanden aber gab ihr zu verstehen: „Gut. Ich nehme dich beim Wort!“ Kathrin reichte ihr ihre Hand und Sabrine kam zögerlich auf sie zu. Dann besiegelten sie ihre Abmachung mit einem Handschlag.
„Ich muss meinen Kollegen von unserem Plan erzählen“, sagte Sabrine zögerlich, als sie aus dem Cockpit hinausging. Kathrin war damit einverstanden. Sie bat Sabrine kurz zu warten und schickte ihr ein paar Wasserflaschen schwere los entgegen. Kathrin wollte nicht, dass ihre Gäste unten im Laderaum verdursten und es würde ihre guten Absichten untermauern. Sabrine bedankte sich für Kathrins Gastfreundschaft und kletterte zurück. Dann war Kathrin wieder alleine und sie wandte sich ihrem Kaffeeautomaten „Knüpft man etwa so neue Kontakte ins Imperium, Julie?“ fragte sich Kathrin gedankenverloren, als sie sich einen Kaffee ausschenken ließ.
Sabrine kam mit den Wasserflaschen unten an und verteilte diese. Dann räusperte sie sich und begann ihre Erklärung mit den Worten: „Wir werden nicht zur Domingo Station reisen …“ Ihre drei Kollegen hörten ihr aufmerksam zu, aber hielten sie für verrückt. „Wir können uns nicht mit Piraten einlassen! Müssen wir aber auch nicht, denn wir sind in der Überzahl!“ meinte Erat empört. Maik aber stellte sich an Sabrines Seite und entgegnete dem anderen: _„Sie hat uns gerettet, ihr gebührt unsere Dankbarkeit!“ „Warum sollte die Solaire uns angreifen? Die haben einen ganzen Planeten zum Ausbeuten und die Regolith muss sich mit dem Venezia Gürtel zufriedengeben“, hinterfragte Matthias. „Kathrin hat aus einem unserer Schiffe ein ARA geborgen. Da konnte man Filipe hören, wie er mit einer anderen Person gesprochen hatte. Er wurde von der Solaire erpresst!“ Matthias musste seinen Kloß im Hals herunterschlucken, denn er war mit Filipe gut befreundet. Er fluchte leise. „Okay, schön und gut. Aber sobald wir unter Piraten sind, sind wir geliefert. Ich wäre dafür, wir schlagen uns alleine durch“, schlug Erat vor. Sabrine nickte ihm zu. Sie dachte kurz nach und unterbreitete ihren Kollegen einen Gegenvorschlag: „Ich kann Kathrin darum bitten, jeden von uns auszusetzen, der nicht ins Piratennest will. Ich kann aber für nichts garantieren.“ Matthias und Erat akzeptierten den Gegenvorschlag. Maik hingegen verblieb auf Sabrines Seite, was sie mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm. Sie kletterte erneut ins Cockpit, um sich mit Kathrin zu beraten.
„Vielleicht kann ich da etwas für deine zwei Kollegen einrichten. Wir müssen aber nah genug an den Mond heranfliegen, damit ich das Shuttle organisieren kann“, stellte Kathrin, nachdem sie die Bitte von Matthias und Erat gehört hatte, klar. Sabrine sagte ihr, dass dies kein Problem darstelle.
Wenige hundert Kilometer vor dem Asteroiden, in dem die Raumträumer, welcher aber vom Imperium als Piraten dargestellt wurden, sich eingenistet hatten, empfing die Aasgeier wieder ein Kommunikationsnetz. Kathrin hoffte darauf, dass Marquos bereits wieder zu Hause war und funkte ihn an. „Marquos, tut mir leid mit dem Bier. Ich habe da eine Bitte …“, begann sie den Funkspruch. Marquos war von der Idee nicht begeistert, aber konnte ihre Bitte dennoch nicht ausschlagen: „Das war so unglaublich dumm von dir, aber ich kann dich verstehen. Ich organisiere uns ein Shuttle. Wir sehnen uns gleich!“
Marquos kam mit einem Shuttle ihnen entgegen und nahm neben der Aasgeier eine Halteposition ein. Marquos gab ihnen ein Zeichen, dass er bereit war, die beiden Passagiere zu empfangen. Die Beiden bedankten sich bei Kathrin, dass sie ihren Wunsch erfüllte. Erat wandte sich zum Abschied noch einmal zu Sabrine und umarmte sie. Er warnte sie: „Pass bitte auf dich auf, und traue niemanden!“ Sabrine lächelte und erwiderte seine Umarmung. Dann gingen Matthias und Erat über die angedockte Luftschleuse hinüber auf Marquos’ Shuttle. Kurze Zeit später löste er die Verankerung und nahm Kurs auf die Domingo Station. Die beiden Regolith Mitarbeiter waren zwar nicht zufrieden weiterhin mit einem Piraten zu fliegen, aber es war in ihrer Vorstellung besser als in einem ganzen Nest voller Piraten zu sein. Sie ahnten nicht, dass Marquos für ihre missliche Situation verantwortlich war. Geräuschlos flogen sie aus dem Blickwinkel der Aasgeier.
Kathrin flog näher an den Raumhafen heran und bat um Landeerlaubnis. Der immer freundliche und gut gelaunte Raumkontrolleur bestätigte die Anfrage und kurze Zeit später landeten Kathrin, Sabrine und Maik im Mond Tempin.