Kapitel 5: Sprung

Am anderen Ende des Venezia Gürtels, wachte Kathrin in ihrem Apartment auf. Der Club, unter ihr, war immer noch laut und die donnernde Musik konnte sie immer noch gut hören. Sie drehte sich auf die Seite und bemerkte, dass Julie nicht neben ihr lag. Gähnend und mit einem brummenden Schädel setzte sie sich auf. Das ARA, an ihrem Handgelenk, zeigte eine neue Nachricht an. Sie war von ihrer Lebenspartnerin. Kathrin tippte ein Symbol, woraufhin die Nachricht abgespielt wurde.

„Lola, Kath. Sorry, dass ich dir nur eine Nachricht hinterlasse. Ich weiß, wir wollten gemeinsam noch einmal frühstücken, bevor ich wieder zur Alexa Station reise. Wir hatten wohl einfach zu lang und hart im Club gefeiert! Und, du lagst so friedlich da und schnurrtest wie ein Kätzchen. Ich konnte es einfach nicht über mein Herz bringen, dich aufzuwecken. Ich hoffe du verzeihst mir.“ Kathrin grinste und zwängte sich in ihren Overall. Mit halb angezogenen Klamotten ging sie zur Küchennische, um sich einen Kaffee zu machen und etwas Essbares zu finden. Dann hörte sie weiter. „Ich werde in einem Standardmonat wieder zu Hause sein. Bis dahin, pass bitte auf dich auf und stelle keine Dummheiten an, die ich nicht auch machen würde, okay?“ Proteinmasse mit Käse Geschmack legte sie sich auf ihr synthetisches Brot. Wenigstens war der Kaffee echt. Sie setzte sich zurück aufs Bett und hörte ihrer Freundin weiter zu, „Du, ich muss los. Hab dir was feines in dein Nachtschrank getan. Hab dich lieb! Bye!“

Kathrin legte ihr angebissenes Brot zurück und rückte näher an den Nachtschrank, um diesen zu öffnen. Erstaunt und überglücklich holte sie ein Stück Schokolade aus einem Papierumschlag hervor. Sie begutachtete die Tafel von allen Seiten und roch dann beherzt daran. „Echte Schokolade“, stellte sie fest, „unermesslich teuer!“ Julie meinte es immer gut mit ihrem Naivling. Während sie behütet im Piratennest aufwuchs, baute Julie ihr Netzwerk, von den Monden Opals bis in den Venezia Gürtel hinein, auf. Kathrin legte das Stück Schokolade zurück in das Papier und steckte es für später in ihren nun angezogenen Overall.

Ihre Aufmerksamkeit wechselte auf ihr AR-Display, welches verkündete, dass die Aasgeier, ihr Bergungsschiff, wieder repariert und flugfähig ist. Sie beendete ihr Frühstück und verließ ihr Zimmer. Nun war die donnernde Musik von unten deutlicher zu hören und ihr Schädel machte sich wieder bemerkt. Sie drehte nochmal um, um eine Tablette aus ihrem Medizinschrank zu holen. Mit dem letzten Schluck Kaffee würgte sie die schmerzlindernde Medizin herunter.


Eine Stunde später kam sie am Dock an. Reges Treiben herrschte hier vor. Schiffe hebten ab oder landeten auf den Plattformen. Ihr gelbes Schiff, die Aasgeier, wartete sehnsüchtig auf sie in einem der hintersten Bereiche. Sie blickte auf ihr AR-Display um sich ihren lokalen Kontostand anzuzeigen. Zu ihrem bedauern, hat sich dieser nicht wie ein Wunder erhöht, sondern verblieb zäh nahe dem Nullpunkt. Es war aber noch genug, um die nächste Monatsmiete für ihren Landeplatz zu bezahlen.

Kathrin drückte ein Knopf an ihrem Schiff um die Luftschleuse zu öffnen, woraufhin zusätzlich eine Leiter hinuntergelassen wurde. Sie wolle nicht auf der Tasche von Julie liegen, auch wenn sie ihr aus der finanziellen Situation mit Freude helfen würde. Nein, sie müsse selbst für ihr Leben aufkommen können!

Kathrin erklomm die Leiter und innen im Schiff angelangt, drückte sie einen weiteren Schalter und die Schleuse verschloss sich hinter ihr. „Zeit wieder Schrott zu sammeln“, dachte sie sich während die Schiffsbeleuchtung langsam ansprang und die Ladebucht in der sie sich nun befand in blaues Licht hüllte. Sie erklomm die nächste Leiter, um in das Cockpit der Aasgeier zu gelangen.

Hier prüfte sie noch einmal die kleine Kochnische und die darunterliegenden Fächer und stellte fest das sie noch Vorräte für die nächsten drei Tage hat. Dann kam sie am Kleiderschrank an und kontrollierte ihren Raumanzug. Zufrieden ging sie weiter in die Glaskanzel und schwang sich voller Elan in ihren Pilotensitz.

Sie setzte alles in Bewegung und die Schiffs-KI begrüßte sie freundlich als auch diese ansprang: „Willkommen Kathrin! Selbstdiagnose wird gestartet …“ dann begann die KI die Liste der Schiffssysteme und dessen Gesundheitszustände durchzugehen. Am ende war alles Einsatzbereit und wartete auf die Pilotin. Kathrin funkte die Raumkontrolle an um eine Startfreigabe einzuholen. „Tempin Raumkontrolle an die Aasgeier. Freigabe zum Start erteilt. Viel Glück da draußen!“ Die Klammern, die das Schiff am Boden hielten, lösten hörbar ihren Griff. Kathrin gab nun leichten Schub, um sich aus den sicheren Hafen zu manövrieren.

Auch wenn der Venezia Gürtel mehrere hundert Kilometer von ihr entfernt war konnte sie dennoch dessen Asteroiden und die Gastaschen sehen die wie ein Kilometer breites unruhiges Meer und dessen Schaumkronen wirkten. Zu leicht passiert es das unvorsichtige Schiffe mit Asteroiden kollidieren oder durch das leichtentzündliche Gas zerstört werden. Im Bestfall überlebt die Schiffsbesatzung diese Ereignisse nicht und sterben an Ort und Stelle. Nach Hilfe zu rufen im Gürtel ist zwecklos da entweder das Kommunikationsgitter des Imperiums hier nicht funktioniert oder Rettungskräfte Stunden bräuchten um am Ort des Geschehens anzukommen.

Kathrin begann sich auszumalen, was mit ihr passieren würde, sollte sie mal unvorsichtig sein. Was würde Julie nur von ihr denken? Was würde Julie dann tun; sich vor Kummer zu Tode besaufen oder würde sie sich fangen können? Um sich von diesen düsteren Gedanken abzulenken, setze sie ihre Kopfhörer auf und drehte laut die Musik auf und sang mit. Die Station lag nun weit hinter ihr und sie begann den Sprungantrieb hochzufahren um damit tiefer in den Venezia Gürtel einzudringen. Mit dem Einsetzen des Refrains, begann sie und die Aasgeier zu schreien. Kurze Zeit später war sie auf dem Weg.


Eine Stunde später fiel ihr Schiff aus dem Sprung und das Radar der Aasgeier zeigte eine Sammlung an Raumschiffen die auf sie schnell zu kamen. Die Transpondercodes wurden auf ihrem ARA zu Namen aufgelöst und einen davon kannte sie all zu gut. Sie öffnete einen Funkkanal zum Staffelführer: „Lola, Marquos. Wohin des Weges?“ „Rora dich zu sehen Kathrin. Wir sind gerade wieder unterwegs nach Tempin. Hatten einen Geheimtipp bekommen, dass ein Raffinerieschiff nahezu schutzlos hier draußen war. Wir geben den anderen Bergungstruppen die Koordinaten, aber du kannst dich hier solange schon einmal austoben. Koordinaten werden gesendet“, antwortete der angefunkte Pirat und Kathrin bestätigte den Empfang. Sie gab den Kurs zu den Koordinaten ein und bedankte sich bei den Raumträumern: „Mertha! Das nächste Bier geht auf mich.“ Marquos’ Schiff und die anderen flogen weiter und Kathrin nahm ihren neuen Kurs auf.

Bei den Koordinaten angekommen, offenbarten sich die Spuren des Piratenangriffs. Der riesige Rumpf der Raffinerie war aufgebrochen. Verstreut waren Wracks von Bergbauschiffen, Rettungskapseln und Angriffsschiffen, davon nur ein oder zwei Piratenschiffe der Rest gehörten der imperialien Flotte. Von überall nahm Kathrin Signale von Notbaken wahr. Sie schickte eine Sprungbake aus, um den Friedhof später erneut wiederzufinden und anspringen zu können. Dann widmete sie sich eines der kleineren Schiffe. Die Schiffssensoren analysierten die Überreste und die Daten trudelten auf dem AR-Display was sie vor sich platziert hatte ein. Es handelte sich um ein Bergbauschiff der Regolith. Die Schiffssysteme waren schwer beschädigt oder funktionsunfähig. Das Lebenserhaltungssystem hat es völlig erwischt. Dann schob sich eine Registrierung in ihr Sichtfeld, die sie augenblicklich wegwischte. Sie ist hier um Schrott zu sammeln, nicht um die Personen kennenzulernen die das Pech hatten, bei diesem Vorfall das Leben zu verlieren. Kathrin legte sich Clubmusik auf ihre Kopfhörer, um sich abzulenken. Die Aasgeier war nun vor dem Wrack stehen geblieben und Kathrin aktivierte die Bergungswerkzeuge. Mechanische und voll artikulierte Greifarme spreizten sich von der Schiffshülle ab und die Aasgeier wirkte jetzt wie eine Spinne. Unter dem gläsernen Cockpit, in dem Kathrin saß, erhitzte sich der Laserschneider, womit sie die Hülle in handlichere Teile zerschneiden konnte. Für das Wertvollste am Schiff musste sie aber aussteigen und selber Hand anlegen.

Sie flog mit der Aasgeier um das Wrack in der Hoffnung Löcher zu finden, wo durch sie ins Innere gelangen könnte. Selbst nach dem zweiten Absuchen der Schiffshülle, war die Suche erfolglos. Kathrin mutmaßte das dieses Schiff Opfer einer Störrakete, welche aktive Schiffssysteme mit Energie überluden und schlussendlich zum Absturz brachte. Nur inaktive oder besonders geschützte Systeme würden so einer Überladung standhalten. Sie lies ihre Aasgeier das Wrack mit ihren mechanischen Armen arretieren und schneidete sich mit Schneidlaser ein Loch in die Hülle. Nachdem die Hülle durchbrochen war, griff sie mit den übrigen Armen in das Loch um es zu weiten. Zufrieden mit der Größe verließ Kathrin den Pilotensitz und zog ihren passenden Raumanzug an.


Mit einem Laserschneider bewaffnet, stieß sie sich von der Luftschleuse der Aasgeier ab und schwebte geräuschlos auf das, von ihr geschaffene, Loch zu. Kaum landete sie mit Füßen voran im Inneren des Schiffes, sprang dessen KI wieder an. Hörbar beschädigt und verzerrt alarmierte die Schiffs-KI über den Eindringling. Die Luke zum Maschinenraum war versiegelt und Kathrin musste das Schiff mit einem Hackprogramm überzeugen, dass sie nun der Kapitän sei und für alle Handlungen, die sie hier durchführte, autorisiert war. Sie tippte ein paar Befehle auf ihrem ARA und paar Augenblicke später gehorchte die KI. Die Luke öffnete sich dem Eindringling. Die darin eingeschlossene Luft kam ihr wie eine starke Windböe entgegen. Sie erschrak, da außerdem eine Leiche ihr Kopfüber entgegenkam. Die Person vor ihr hatte kein Raumanzug an, nicht einmal eine Atemmaske. Kathrin bemerkte das die Leiche erfroren war. „Das muss wohl der Pilot gewesen sein“, sagte sie nervös zu sich. Ihr Finger strich über ihr eigenes ARA, um die Musik lauter zu machen. Entsetzt stellte Kathrin aber fest, dass sie Kontakt zu ihrem Schiff verloren hatte und nur noch Stille auf ihrem Kopfhörer lag. Kathrin schloss ihre Augen und atmete tief ein und wieder aus, um sich zu beruhigen.

Sekunden vergingen und sie drückte sich mit geschlossenen Augen an dem Leichnam vorbei. Erst nachdem sie sicher war, die Leiche passiert zu haben, öffnete sie wieder die Augen und fand sich im Maschinenraum wieder. Die Vielzahl an Kühlaggregaten, Kraftwerken und sonstigen Schiffskomponenten qualmten und schlugen Funken. Kathrin prüfte die Wartungsschächte, die den Zugriff auf die Komponenten von außen ermöglichten, konnte aber nur feststellen, dass die Mechanik zerstört und die Klappen mit der Hülle verschmolzen waren. „Ich muss die Komponenten einzeln herausschneiden“, sprach sie enttäuscht zu sich und ließ ihren Blick durch den Maschinenraum wandern. Bei der Bestandsaufnahme fiel ihr ein Gerät auf, was munter vor sich her blinkte. Neugierig nahm Kathrin das Gerät in die Hand und kappte dessen Verbindung zur Energiequelle. Kurz daraufhin klang ihre Musik wieder in ihrem Kopfhörer und die Schiffs-KI der Aasgeier meldete sich bei ihr: „Kontakt zu Kathrin verloren. Weitere Lebenszeichen in kritischem Zustand entdeckt. Kontakt zu Kathrin verloren, versuche wiederherzustellen …“ Kathrin drückte die Benachrichtigungen beiseite und schaute nun noch faszinierter auf den Störsender, den sie in der Hand hielt. Das Mysterium erweckte ihr Interesse, der Schrott und die Komponenten waren in den Hintergrund gerückt. Sie schwebte mit dem Gerät in der Hand zurück zum Loch, blieb aber bei der Leiche stehen. Kathrin durchsuchte den Körper und fand neben dem Mitarbeiterausweis von Filipe Nygard auch sein ARA. Sie steckte beides ein und schwebte dann weiter.

Auf der Aasgeier angekommen steckte Kathrin das geborgene ARA in den Computer, um auf dessen verschlüsselte Daten zuzugreifen. „Was hast du zu verbergen?“, fragte Kathrin das Armband, während sie den Störsender daneben ablegte. Nachdem sie alles verstaut hatte, setzte sie sich auf ihren Pilotensitz. Sie schaute auf den eingehenden Notruf und stellte fest, dass dieser eine imperiale Kennung hatte. Sie seufzte und versuchte sich mit einer Lüge zu überreden, nicht dem Ruf zu folgen: „Es sind nur Imps! Es ist nicht deine Aufgabe, den guten Samariter zu spielen. Zurück an die Arbeit, Kathrin!“ sie sank in ihren Sitz zurück und blickte auf das Meer von treibenden und noch brennenden Schiffen. Sie kniff ihre Augen zusammen und ihr guter Wille siegte: „Es sind aber auch Monadi. Ich muss ihnen helfen!“

Die Aasgeier löste die Umklammerung und Kathrin nahm Kurs auf das empfangene Notsignal. Die Aasgeier nahm fahrt auf.

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