Kapitel 2: Beschleunigung
Maik war noch nicht erholt von der Nachricht und schlenderte ziellos weg. Er musste erst einmal wieder zu klaren Gedanken kommen, also suchte er mit seinem ARA nach der nächst besten Kneipe, die er zumindest bezahlen konnte. „Ich brauche erst einmal ein Drink und dann schau ich nach deiner alten Lady“, sprach er in Gedanken zu seinem toten Freund. Er kam an einem Haltestopp der Stationsbahn vorbei. Eine Menschenmasse wartete auf den nächsten Zug der sich mit einem lauten Geräusch ankündigte. Maik zuckte dabei zusammen. Maik stand still und blickte sich um und sah dem Menschenstrom zu wie dieser sich in die noch volle Bahn zwängte während ein paar Passagiere versuchten hier auszusteigen. Es war ein heilloses Durcheinander, aber Maik konnte jeden einzelnen in Ruhe wahrnehmen als wäre die Zeit für ihn still stehen. Männer und Frauen die drängelten. Kinder die quengelten. Der Luftstrom der freiliegenden Lüftungsschächte über ihn die für dieses großräumige Areal für frische Atemluft sorgten. Er wurde von einer Frau hinter íhm angerempelt und der Zeitraffer verflog. Maik drehte sich kurz um und entschuldigte sich, doch die Frau war bereits an ihn vorbei in die Bahn gehuscht. Er schüttelte sich und schlenderte Richtung Kneipe die sich gegenüber von der Station befand. Der Lärm draußen wich der abgedroschenen Musik und angeheiterten Stimmung des Ladens. Er nahm auf dem letzten freien Hocker, an der Theke, platz. Er sackte zusammen und lehnte seinen Kopf auf den Tresen. Die Bartenderin kam zu ihn und musterte den armen Schlucker. Sie ließ ihm einen Moment und fragte dann mit besorgte Stimme: „Musst ein Geist gesehen haben, was darf es sein?“ Maik blickte auf und erwidert schwach: „Ja so etwas in der Art. Irgendetwas was drückt.“ Die Frau hinter dem Tresen blickte ihm tief in die Augen um abzuschätzen was er wohl bezahlen könne, dann tauchte sie ab. Sie kam mit zwei Gläsern und einer Flasche mit einer roten Flüssigkeit wieder aus dem Keller. „Hier, das wird dich wieder auf gute Gedanken bringen. Ich bin Ana. Wie heißt du?“, fragte sie ihn weiter und schenkte währenddessen den Alkohol aus. Maik blickte auf sein volles Glas, ergriff es und leerte diesen in einem Zug. „Maik Rendall. Hab gerade erfahren wie mein Freund gestorben ist“, antwortet er und fühlt wie eine wohlige Wärme durch seinen Körper fährt. Ana tat es ihm gleich. Sie klopft mit dem leeren Glas auf den Tresen und meinte: „Tja, Maik Rendall, Aber du lebst. Also mach was draus.“ Sie schenkte noch einmal einen für Maik aus und verstaute die Flasche wieder unter den Tresen. Maik blickte auf sein nun wieder gefülltes Glas. Er ging in Gedanken noch einmal Jonashs Nachricht durch. Ana blickte ihn fragend an und wimmelte einen anderen Gast am anderen Ende der Theke ab. Dann nahm Maik erneut das Glas in die Hand und reicht es ihr mit den Worten: „Du und Jonash habt recht. Danke für den Drink.“ Ana griff nach dem Glas mit einem breiten grinsen. Maik stand auf, richtete seine Jacke und verließ die Kneipe. Ana leerte ihr Glas und wandte sich wieder ihrer Kundschaft. Der Lärm draußen hat sich gelegt, die Stationsbahn kam hier nur alle halbe Stunde. Maik atmete tief aus und ließ auf seinem ARA eine Route zur nächsten Zweigstelle der Regolith berechnen.
Eine Stunde später erreichte Maik sein Ziel. Ein unscheinbarer Popup-Store an der Hauptschlagader der Alexa Station. Der Regolith Schriftzug in Neongrünen Lettern befand sich über dessen Schwingtür. Die Wände, von dem viel zu kleinen Raums, war voll mit Verheißungen auf ein neues und produktivem Lebens im Venezia Gürtel. Der dickliche in einem Overall gekleideten Mann stand am Stehtisch und war in einer Viezahl von AR-Displays vertieft. Er bemerkte Maik wie er sich näherte und er schob die Displays mit einer wischenden Geste zur Seite um den jungen Mann besser sehen zu können. Freundlich begann er sein Verkaufsgespräch: „Willkommen bei der Regolith Bergbaugesellschaft. Ihr bester Ansprechpartner für alle Belange im Venezia Gürtel. Ich bin Mark Henry, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Mark grinste breit und wartete auf Maiks fragen. Dieser kam näher an den Tresen und nickte leicht. Er blickte sich noch einmal um und ergriff dann das Wort: „Hallo Mark Henry, ich bin Maik Rendall. Ich bin hier die Anstellung von Jonash Malouf anzutreten.“ Marks Grinsen wich und er sprach sein Mitgefühl aus: „Tut mir leid, das mit Herr Jonash Malouf. Er war ein guter Mitarbeiter. Standen Sie sich nah, Herr Maik Rendall?“ Maik wollte seine gesamte Geschichte nicht mit Mark teilen und entschied sich für die Kurzform: „Ja, wir waren gute Freunde. Er hatte bei der Regolith ein Schiff geleast?“ Der Regolith Angestellte hob ein AR-Display hoch und begann eine Suche nach Jonash und seinem Schiff. Wenige Sekunden später war er fündig und er erklärte die Situation: „Ja, die »Alte Lady« wie er sie getauft hatte. Das Schiff wurde bei einem Überfall beschädigt. Die Argo Rettungsgesellschaft konnte das Schiff bergen und in die Schiffswerften schleppen. Nunja, das Cockpit war aufgerissen und Herr Malouf konnte sich nicht schnell genug in sein Raumanzug retten.“ „Diese verdammten Piraten schrecken auch vor garnichts zurück“, dachte sich Maik, wie er den Ausführungen von Mark folgte. Mark fuhr fort: „Das Bergbauschiff ist aktuell in Reparatur in den Ulma Schiffwerften und sollte in drei monadischen Standardtagen wieder Flugfähig sein. Haben Sie bereits Erfahrung mit dem Schürfen in Schwerelosigkeit?“ Maik schrieb sich eine Notiz und antwortete: „Mit dem Arbeiten in der Schwerelosigkeit, aber nicht in Verbindung mit Bergbau oder dem Schürfen. Ich war einst Industriemechaniker. Stellt das ein Problem da?“ Mark Henry hatte bereits den Vertrag von Jonash geöffnet und begann ein paar Eintragungen vorzunehmen. Auf die Frage von Maik schütteltet er langsam den Kopf und sagte: „Nein, das ist kein allzugroßes Problem. Wir haben Trainingskurse und können Sie erst einmal der Oblate-B zuweisen. Es gibt dort viele Helfende Hände, voran Vorarbeiterin und Raumkontrollverantwortliche Sabrine Zyota.“ Er schob dabei ein öffentliches Profilbild von besagter Person auf Maiks ARA. Maik öffnete das Empfangene und erinnerte sich dunkel an ein Gespräch mit Jonash wo er von eben jener Sabrine sprach. Sie war es, die Jonash für die Regolith gewonnen hatte. „Wollen Sie den Vertrag annehmen? Wir können Ihnen dann ein Flug zu den Schiffswerften organisieren“, fragte Mark und riss Maik aus seinen Gedanken. Dieser schüttelte sich kurz und antwortete freudig: „Sehr gerne. Ich bin jederzeit Startklar.“ Dann reichte ihm der Mitarbeiter ein Dokument zum Unterschreiben. „Im Namen der Regolith heiße ich dich, Maik, willkommen an Bord“, begrüßte Mark ihn und nahm den nun signierten Vertrag entgegen. Er überflog die Signatur und archivierte dann das Dokument. „Dein Flug geht in zwei Stunden. Hier ist ihr Ticket“, sagte er abschließend und wischte Maik ein paar weitere Dokumente zu. Dieser bedankte sich und verließ den Store.
Eine Stunde später stand Maik an einer Andockschleuse die zu seinem gebuchten Schiff führte. Er hatte bereits an einem Automaten sein Ticket eingecheckt und war, wie mehrere Dutzend neben ihm, nun auf dem Weg zum Transporter. Die Kabine war mit sterilem kalten Licht geflutet. Reihen an Sitzplätzen waren bereits belegt. Maik hatte nichts außer sich selbst musste sich aber dennoch zu seinen zugeordneten Sitzplatz durch drängeln, da andere noch damit beschäftigt waren, ihr Reisegepäck zu verstauen. Er setzte sich hin und verschloss den Fünfpunktgurt über seinem Bauch. Das Display in der Rückenlehne des Sitzplatzes vor ihm zeigte neben der aktuellen Zeit der Station auch die Route zu den Schiffswerften auf Ulma. Das Schiff, die Turin, bräuchte für die Reise weniger als eine Stunde. Es kam eine Ansprache über die Sprechanlage: „Hier sprich ihr Kapitän der Turin. Wir heißen sie an Bord willkommen. Bitte schnallen Sie sich an, wir legen in kürze von der Alexa Station ab. Während der Reise zu den Schiffswerften von Ulma erreichen wir für wenige Sekunden eine Maximalebeschleunigung von zehn Kilogal. Das bedeutet, das sie während dieser Beschleunigung körperliche Belastungen von dem zehnfachem ihres Körpergewichts ertragen müssen. Durch ihre Teilnahme an diesem Flug bestätigen, das sie für diese Reise gesundheitlich geeignet sind. Sollten Sie dennoch während des Flugs Probleme haben, wenden Sie sich bitte gerne an das Reisepersonal.“ Eine Minute später hörte Maik wie der Druck in der Kabine absank und sich das Schiff langsam von der Station entfernte. Dann beschleunigte sich die Turin und Maik und die anderen Passagiere wurden in ihre Sitze gedrückt. Das Display und eine Durchsage des Kapitäns informierte darüber das der Sprungantrieb hochgefahren wurde und der Sprung kurz bevor stand. Maik schloss die Augen denn er wusste was nun passierte.
„Und sobald das Schiff die notwendige Beschleunigung von neun komma neun Kilogal aufgebaut hat, kann der Sprungantrieb dazugeschaltet werden,“ erklärte Jonash ihm bei den Physik Hausaufgaben. Maik ergänzte dazu: „Und bei 10 Kilogal kann der Sprungantrieb übernehmen und der Hauptantrieb abgeschaltet werden. Dennoch verbleibt das Schiff in einer hohen Geschwindigkeit verhaftet und verbraucht nur ein Bruchteil des Treibstoffs und Energie. Das übertreten dieser Schwelle nennt man den Sprung.“ Jonash war erleichtert da nach fünf Stunden des gemeinsamen Lernens sein Freund es anscheinend endlich verstanden hatte.
Ein lauter Knall ging durch das Schiffsinnere als die Turin über die Schwelle sprang. Das Schiff schnurrte anschließend wie ein Kätzchen, obwohl es sich nun mit einer immens hohen Geschwindigkeit durch den Raum fortbewegte. Es herrschte schwerelosigkeit und nur die magnetischen Stiefel halfen den Passagieren und das Schiffspersonal am Boden zu bleiben. Maik öffnete die Augen als sein ARA vibrierte und sah ein von der Regolith empfangenes ein Datenpaket. Er fuhr mit seiner Hand über seinem Gerät am Arm und fühlte dabei die Schwerelosigkeit. Er öffnete das Datenpaket und fand darin Informationsmaterial, erklärende Lektüren, Verhaltensregeln und eine Rechnung der Firma über die Leasing- und Betriebskosten der Alten Lady. Maik fing an zu hysterisch lachen nachdem er über seinen tief roten Kontostand sah. Dann öffnete er die Rechnung und ging die Rechnungspunkte durch. Der erbleichte Sitznachbar sah ihn entgeistert von der Seite an und fragte ihn besorgt: „Ist alles gut bei Ihnen?“ „Nein, aber das wird schon“, winkte Maik ab. „Das hoffe ich zumindest“, dachte sich der nun Hochverschuldete. Die Turin war pünktlich und eine Stunde später kam der Transporter der Hauptplattform der imperialen Schiffswerften im Orbit von Ulma näher. Ein Ruck ging durch das Schiff als der Dockingarm der Station bekanntschaft mit der Turin machte und weckte dabei alle die ein Nickerchen hielten aus ihrem Schlaf auf. Das Bordpersonal half den Passagieren beim vom Bord gehen. Maik bedankte sich beim Verlassen des Schiffs für die angenehme Fahrt und schob sich ein Lageplan der Station auf sein AR-Display. Er suchte nach Hangar 7 wo die Alte Lady repariert wurde. Der Vertrag mit der Regolith autorisierte ihn sich dem Schiff zu nähern und bei den Reparaturen zuzuschauen. Er hatte als Industriemechaniker auf der Station gearbeitet und kannte sich daher gut auf der Station aus. Er hoffte aber darauf das die hier arbeitenden ihn nicht wieder erkannten. Nach einer kurzen Reise in der Stationsbahn, dessen Kosten von der Regolith übernommen wurde, kam Maik dann im Hangar an. Hier wartete die Alte Lady auf ihn. Ein kleines Schiff für das Schürfen von Mineralen und Metallen aus Asteroiden oder in der generellen Schwerelosigkeit. Ein halbes Dutzend Mechaniker und Ingenieure arbeiteten auf Hochdruck an dem Schiff. Bei den Arbeiten am verglasten Cockpit und Schiffshülle flogen Funken. Durchgeschmorte Schiffskomponenten wurden aus den Klappen der alten Lady mühselig herausgeholt und durch neue ersetzt. Der Vorarbeiter des Reparaturteams räusperte sich hinter Maik um seine Aufmerksamkeit zu erlangen: „Sind sie Maik Rendall?“ der angesprochene drehte sich schreckhaft um und sah in ein von Schmieröl verdrecktes Gesicht. Maik fasste sich und antwortete: „Ja, der bin ich. Ich gehöre zur Regolith und das ist mein Schiff.“ Dann flog die Faust vom Vorarbeiter in Maiks Gesicht. „Ein Scheiß bist du Rendall. Du schuldest mir mein Bein, du Arsch!“, fauchte der Vorarbeiter ihn an. Fassungslos hielt Maik sich sein blutiges Kinn und erkannte nun unter dem Schmierfilm Tommy wieder, ein alter Kollege. Maik nahm eine verteidigende Haltung ein und befürchtete das Tommy ihm ein weiteren Schlag verpasste. Er versuchte ihn zu beruhigen: „Hätte ich dich da nicht raus gezogen wäre die Beinprothese deine geringste Sorge.“ Dann deutete Tommy einen weiteren Schlag aber umarmte ihn stattdessen. „Und jetzt machst du hier einen auf Prospektor? Tut mir echt leid das die Firma dich dafür gekündigt hatte“, sagte Tommy nun freundlich und bat dem nun perplexten Maik an: „Komm, ich führ dich herum.“ Maik wurde vom lahmenden Tommy herumgeführt. Der alte Kollege erklärte ihm jedes kleinste Details am Schiff und auch den stellen wo Tommy der Lady seinen persönlichen Touch verpasste. „Maik, du kannst dich ehrlich glücklich schätzen so ein Schiff bekommen zu haben. Pass aber auf die Schubregelierung auf. Denn es ist dann kein anderer Maik da der dich vor dem Schlimmsten bewahren kann“, sagte Tommy mit einem grinsen und erinnerte ihn an seinen Unfall wo Maik sein Retter gewesen war. Die Halcyon bewertete den Fall aber anders, machte ihn für den Vorfall hauptverantwortlich und warf Maik auf die Straße. Maik war seit jeher von Alpträumen geplagt. Über die nächsten drei Tage richtete sich Maik bereits in der Alten Lady ein. Nicht nur wohnlich machte er sich breit sondern installierte ein paar seiner eigenen Systeme im Schiff ein. Beim herümtüfteln begrüßtete ihn die Schiffs-KI noch als Jonash was ihm Kalt über den Rücken lief, aber er beließ es erst einmal dabei, jedenfalls solange bis die letzte Leasingrate abbezahlt war und das Schiff ihm gehöre.