Kapitel 10: Trommel

Kathrin fuhr, wie von der Raumkontrolle befohlen, die Schiffssysteme herunter und kletterte zusammen mit Maik und Sabrine hinunter in die Ladebucht. Bevor sie ging zögerte sie und schaute zum abgeschlossenen Waffenschrank. Vor wenigen Tagen hatte Sabrine ihr den Weg, sich zu bewaffnen, versperrt, nun versperrte ihre Vernunft, sich am Waffenschrank sich mit Schusswaffen einzudecken. Seit sie im Orbit von Pim angelangt waren, wurde ihnen das Spiel aufgezwungen und sich dagegen jetzt zu wehren, würde wie draußen nur mit dem Tod enden.

Maik und Sabrine warteten schon unten und blickten Kathrin fragend an. Sie schüttelte ihren Kopf und meinte: „Was auch immer hier passiert, ich möchte mich bei euch bedanken.“ Sie ging zur Ladeluke am Ende der Bucht, wo zuvor sich ihre vier Passagiere angeschnallt hatten. Mit einem tiefen Atemzug drückte Kathrin den roten Knopf, worauf die Luke sich langsam öffnete. Die innere Luft entwich mit einem Zischen und vermengte sich mit der im Hangar. Die Luft verwirbelte sich in eine dünne Schicht aus Nebel. Maik und Sabrine standen hinter ihr und hielten Händchen. Durch den Nebel brachen mehrere rote Laserstrahlen und fanden auf ihren Körpern Platz und suchten dort Kopf, Herz, Hände und Brust ab. Kathrin schluckte schwer. Dann sah sie eine Silhouette einer Person deutlich durch den Nebel.

„Ich sehe drei Personen und keine Waffen. Sehr löblich“, begann die Frau zu sprechen. Kathrin erkannte die Stimme der Raumkontrolle wieder, die sie unter Waffengewalt in genau diesen Hangar lotste. „Ich heiße Administratorin Suzanne Langley. Mit wem habe ich und wir das Vergnügen?“, fragte sie gelassen, die Ziellaser waren immer noch auf die Crewmitglieder gerichtet. Kathrin stellte sich als Pilotin der Aasgeier als Erstes vor, dann Maik und schlussendlich Sabrine. Kathrin fügte noch hinzu: „Wir hegen keine feindlichen Absichten!“ „Das ist gut, aber man kann nie vorsichtig genug sein“, entgegnete Langley daraufhin. Der Nebel verflog und die Ziellaser wurden abgeschaltet. Leise konnte man hören, wie die 5 leicht gepanzerten Schützen hinter der Administratorin ihre Waffen sicherten. Langley war im Gegensatz zu ihrem Empfangskomitee nicht gepanzert, sondern trug die Uniform einer imperialen Forscherin. Langer hell blauer Kittel über einem eng anliegendem weißen Jumpsuit. Die Flagge, welche den Heimatplaneten und ihre beiden Monde Panee und Ulma zeigten, des Imperiums wurden jedoch mit roter Farbe durchgestrichen. Sabrine beäugte dies kritisch, sagte aber nichts. Das ARA um Langleys rechtem Arm und die dünne Datenbrille in ihrem Gesicht komplementierte ihren Look. „Dann möchte ich euch Tempiner herzlich auf Habitat-7 begrüßen“, hieß die Administratorin die Crew willkommen. Kathrin konnte nicht anders und musste sie korrigieren: „Wir nennen uns eigentlich Raumträumer. Das heißt, ich gehöre denen an.“ Suzanne hob fragend eine Augenbraue und schaute zu Sabrine und Maik hin und her. Mit einer Handbewegung befahl sie ihre Soldaten, nicht erneut anzulegen. „Wir gehören auch dazu. Seit kurzem“, sprach Maik hastig. Die Administratorin der Station schien das zu genügen und lächelte die drei an. „Bitte, hier entlang. Ihr habt sicherlich viele Fragen“, sie deutete mit einer Handgeste ihr zu folgen. „Doch bevor ich euch eine Tour gebe, habt ihr sicherlich nichts dagegen, wenn ein paar meiner Leute sich auf eurem Schiff umsehen?“, fragte sie die Pilotin. Kathrin knirschte mit den Zähnen, stimmte dem aber zu. Kathrin tippte hastig auf ihrem Armband Computer ein paar Befehle, damit ihre Privatsachen auch privat blieben.

Bis auf die Aasgeier war der gesamte Hangar leer, Maik schätzte, dass mindestens 4 weitere Schiffe gleicher Größe hier festmachen könnten. Die Decks waren alle im gleichen Raum, nur die Hangartore außen vermittelten ein isoliertes Gefühl. Die Administratorin führte, in Begleitung eines ihrer Schützen, die drei Neuankömmlinge durch ein großes Tor, welches, als sie sich dieser näherten, flüster leise zur Seite fuhr. Anschließend folgte ein langer Korridor. Nicht nur die Symbole auf Langleys Kleidung waren durchgestrichen, sondern auch im Hangar und hier im sonst leeren und steril wirkenden langen Gang. „Wie könnt ihr es verantworten, die Monde von Monad durchzustreichen?“, fragte Sabrine empört, „Es ist schließlich unser aller Heimatplanet!“ Maik zuckte zusammen, er hatte sie noch nie so außer sich erlebt. „Ich glaube, die Billionen auf Zirrum würden dies anders sehen. Sie sehen schließlich Monad nur alle Jubeljahre an ihrem Nachthimmel?“ Langley ließ dies für einen Augenblick sacken. Inzwischen sind sie an ein paar vereinzelten geschlossenen Türen vorbeigekommen.

Kathrin stimmte insgeheim der Administratorin zu. Sie selbst ist auf Tempin geboren und auch wenn Julie auf Monad ihre Kindheit verbrachte, war sie dennoch gefühlt eine Einheimische. Kathrin schmachtete nach ihrer Lebensgefährtin. Sie fragte sich, was sie wohl jetzt gerade in den versifften Clubs der Alexa Station machte.

„Aber um deine Frage zu beantworten, Sabrine. Seit 20 Jahren sind wir hier auf der Habitat-7 auf uns allein gestellt. Und ich muss sagen, wir können hier gut leben. Ich möchte fast schon sagen, dass wir unabhängig vom Imperium sind“, sagte Administratorin Langley mit einem Lächeln und blieb vor einer verschlossenen Tür stehen. Kathrin, Sabrine und Maik folgten ihrem Beispiel. Ihre Begleitung, Sergeant Fielding, trat an das Terminal, welches in der Tür eingelassen war, und drückte auf diesem ein paar Knöpfe. „Seit zwanzig Jahren? Wie ist das möglich?“, fragte Maik, während sie warteten.

Das Tor schwang zur Seite und die vier betraten den Fahrstuhl. Die Wände waren transparent und gab das Innere der Trommelstation preis. Maik, Sabrine und auch Kathrin staunten nicht schlecht. Die Innenseite der Station war eine Aneinanderreihung aus flachen Gebäuden und künstlichen Grünanlagen. Große Flutlichter sorgten für Beleuchtung und sorgten sogar für einen künstlichen Tag-Nacht-Wechsel, denn die von ihnen gesehene obere Partition der Station war dunkel. In der Mitte der Trommel war eine Laufbahn des Fahrstuhls aufgespannt, an die sich ihre Kabine entlang bewegte. Glücklicherweise funktionierten ihre magnetischen Stiefel, sonst würden sie gegen die Wände, der sich lautlos bewegenden Kabine, gedrückt werden.

„Es gab eine große Explosion, dessen Strahlung alle in den imperialen Forschungsinstituten bemerkt haben müssten. Und seit dem hatten wir nie wieder Besuch. Heute ist daher ein besonderer Tag. Erst hatten wir befürchtet, dass ihr von der Kommission geschickt wurdet, aber dies ist ja glücklicherweise nicht der Fall“, erklärte die Administratorin und beäugte Maik und Sabrine dabei kritisch, „Nicht wahr?“ Beide schüttelten den Kopf. „Nein, wir sind einfache Arbeiter am Rand des Imperiums. Wir gehören zwar der Regolith Bergbau Gesellschaft an, aber nicht der Regierung“ erklärte sich Sabrine. Der Fahrstuhl stoppte inmitten der Trommel. Es dauerte nur einen Augenblick, dann magnetisierte sich die Kabine an einer Seitenführung und glitt dann, weiterhin geräuschlos, in Richtung der Außenwand. Sie nahmen die zunehmende Zentripetalkraft immer deutlicher wahr, je näher sie sich der Außenwand näherten. „Wie kam es dann dazu, dass ihr mit einer Raumträumerin unterwegs seid?“ „Kurz gesagt, unsere Raffinerie wurde von einem Konkurrenten, der Solaire, zerstört und Kathrin hier hat uns aus den Trümmern gerettet. Eine wahre Heldin!“, fasste Maik ihre gemeinsame Geschichte kurz zusammen und Kathrin grinste verlegen. Der Fahrstuhl kam zum Stillstand und machte kurz danach den Weg zu einem weiteren Korridor frei. Sergeant Fielding ging vor und die anderen folgten ihm nach. Er hatte, bevor er die Kabine verließ, seine magnetischen Stiefel ausgeschaltet, da von nun an die Rotationsgeschwindigkeit der Trommel den gleichen Dienst verrichten konnte.

Auf diesem Korridor war sehr viel mehr Personal unterwegs, von Forschern in den gleichen Klamotten wie die Administratorin, allerdings mit blassgrünen Kittel, bis hin zu zivil gekleideten Leuten. Allen, denen sie begegneten, begrüßten die Gruppe freundlich. „Wieviele arbeiten eigentlich hier?“, fragte Maik und schaute den freundlichen Menschen hinterher. Langley musste kurz nachdenken und antwortete dann: „Das Habitat-7 beherbergt 813 Leute, die in unterschiedlichsten Gebieten arbeiten …“ Der Korridor endete in einem größeren Aufenthaltsraum. Parkbänke waren entlang den Wänden aufgestellt. In der Mitte des Raums befand sich in einem größeren Blumenbeet ein Sockel, auf dem einst eine Statue stand. Von dieser war allerdings nur noch die Füße übrig. Der Rest musste brutal abgerissen worden sein. Der Raum war von natürlich wirkendem Lichtspendern erhellt. Bewohner der Station verweilten hier, unterhielten sich oder waren nur auf Durchreise. Geräusche, die an einen Park auf Monad erinnern sollte, unterstrichen leise die Atmosphäre der Gelassenheit. Sabrine und Maik, wenn sie es nicht besser wüssten, fühlten sich wieder wie zu Hause. „… Von Agrarwirtschaft, Landschaftspflege, Medizin, Forschung, Technik sowie Instandhaltung“, fuhr Suzanne, nachdem sie ihren Gästen einen Moment des Wunders gegeben hatte, fort. „Ich muss sagen, dass ich beeindruckt bin von dem, was ihr hier aufgebaut habt“, bekundete auch Kathrin ihre Bewunderung. „Danke. Die Habitat-7 sollte als Dreh-und-Angelpunkt für die weitere Erforschung der äußeren Planeten dienen. Und da Monad, Prillum und Zirrum sehr weit entfernt sind, musste diese Station hier absolut autark gestaltet werden.“ „Tempin ist verhältnismäßig nah. Wir brauchten mit meinem Schiff nur vierzig Stunden“, meinte Kathrin. „Und mit unseren Forschungen dürfte das sicherlich noch schneller gehen“, verhieß Administratorin Langley mit einem Lächeln. Daraufhin lehnte sich Sergeant Fielding an sie und ihr Lächeln verstarb. Er flüsterte für ihre Gäste unverständlich leise in ihr Ohr: „Wir wissen nicht, ob es funktioniert, wir sollten damit noch warten.“ Kathrin und Sabrine warfen den beiden neugierige Blicke zu. „Ja, dann warten wir erst einmal ab“, antwortete Suzanne und wandte sich dann wieder zu den Raumträumern, „Ihr habt sicherlich Hunger. Lasst uns etwas essen gehen.“ Auch wenn die Sandwiches und der Kaffee aus Kathrins Maschine passabel waren, so freuten sich Maik und Sabrine auf ein neues Geschmackserlebnis, auch wenn es wahrscheinlich eh wie damals auf der Oblate-B nur eine anders gewürzte Proteinmasse sein wird.

Mehrere Millionen Kilometer entfernt bastelte Rhovena gerade daran, aus dem zerstörten Schiff von Marquos, es hörte auf den Namen Moskito, Informationen zusammeln, um ihr eigenes Schiff als ein ähnliches zu tarnen, damit die Raumkontrolle auf dem Radar kein Schiff des Imperiums, sondern eines der ihren sieht. Es schien aber hoffnungslos. Die Schäden, die Lhena Endura dem Schiff verpasste, waren zu gewaltig. Timothy hatte, seit er einen Einlauf den beiden Begleitern bereitete, sich wieder abgekühlt, aber die Nachricht von Rhovena brauchte ihn wieder zur Weißglut. Er unterstrich über Funk nocheinmal mit Nachdruck, dass durch die schlampige Arbeit des Begleitungskomitees nicht nur einer der ihren getötet wurde, sondern die gesamte Mission nun am seidenen Faden hing. Dann befahl er Pilotin Endura und den anderen Piloten, sich zwischen den Asteroiden zu verstecken und auf ihre Rückkehr zu warten.

Timothy öffnete erneut wieder einen Kanal zu Rhovena, die um die zerstörte Moskito in ihrem Raumanzug umherschwebte und ihr Bestes tat. „Wie sieht es aus, bekommst du das irgendwie hin?“ Sie antwortete nicht, da sie Besseres zu tun hatte, als ständig Timothy, der gelangweilt im Cockpit herumsaß und nichts tat, die immer gleiche Antwort zu geben. Rhovena tippte eifrig auf ihrem ARA welches sie mit dem nahezu zerstörten Schiffscomputer mit einem Datenkabel verbunden hatte. Erst konnte sie nichts mit dem Unfug anfangen, was über die Leitung kam und auf ihre AR Displays angezeigten wurden. Undechiffrierbare Zeichenketten jagen die nächsten. Sie probierte einige Filtermodule aus, um in dem Datenstrom einen Sinn zu erkennen, doch ohne Erfolg. „Rhovena, bist du noch da?“, fragte Timothy ungeduldig. „Ja, ich hab’s gleich. Nerv mich bitte nicht!“ antwortete sie schnippisch zurück. Sie tippte und wischte weiter vor ihren holografischen Anzeigen herum.

Plötzlich ergab alles Sinn und Rhovena war überglücklich, die richtigen Module und Methoden gefunden zu haben. Die Datenströme ergaben nun Sinn und sie bekam Zugriff auf sämtliche Daten, die den Angriff überlebt hatten. Sie warf den Strom in Richtung der Adler, um diesen mit Timothy zu teilen. Er kommentierte, zu ihrem Frust, es simplen _„Beeindruckend. Komm zurück aufs Schiff.“ _

Rhovena schwebte langsam hinüber, während ihr Kollege schon eifrig dabei war, die Daten einzuordnen. Es gab mehrere Funksprüche, der letzte sogar handelte von ihrem Angriff, er hoffte, dass dieser nie ankam. Timothy bemerkte nicht, wie Rhovena die kleine Luke im hinteren Teil des Cockpits geöffnet hatte und sich hineingehievt hatte, erst als sie sich neben ihm hinsetzte, blickte er auf sie und ließ den letzten Funkspruch der Moskito noch einmal laufen. „Mhm, könnte kritisch sein, aber ich kann mit den Funksprüchen von ihm dich so klingen lassen wie er“, meinte sie zu ihm, drehte sich zu ihren Schiffskonsolen auf ihrer Schiffsseite um und begann ihre Arbeit, „Das kann aber ein paar Minuten dauern. Kümmere du dich in der Zwischenzeit um die Schiffsanpassungen.“ „Kommt sofort“, bestätigte Timothy und ging ebenfalls an die Arbeit.

Nach einiger Zeit in der Schwerelosigkeit verschwand die Adler und ein neuer Moskito trat an ihrer Stelle. Das hieß, wenn man den Daten eines Radars trauen konnte. Timothy lehnte sich zu frieden zurück und blickte rüber zu Rhovena. „Wir fliegen nun in Marquos Schiff“, meinte er mit einem breiten Grinsen. Sie aber rollte mit den Augen und richtete weiter ihre Aufmerksamkeit auf den Modulator, den sie mit den Funksprüchen des Verstorbenen fütterte. „Sag noch einmal etwas über Funk“, bat Rhovena ihn. Timothy drehte sich wieder nach vorne und unter der Verwendung ihres Werkstücks klang über den lokalen Kanal genauso wie der Mann auf den Aufnahmen. Rhovena grinste ihn an, „Das klang mal garnicht nach dir.“ Timothy lächelte und sagte: „Dann können wir endlich unseren Plan umsetzen. Danke dir für deine Mühen.“ Er aktivierte die Triebwerke der Moskito und beschleunigte in Richtung des größten Asteroiden des Venezia Gürtels.

Wenige Kilometer später, und nur noch 100 Kilometer von Tempin entfernt, meldete sich die Raumkontrolle bei ihnen stets freundlich: „Willkommen Moskito, wir haben dich auf dem Radar.“ „Hier ist die Moskito. Rundflug beendet. Ich bitte um Erlaubnis zu landen“, beantwortete Timothy mit einer für ihn ungewohnten Stimme den Gruß. „Schön, dich wiederzusehen. Uns liegt eine Mitteilung vor, dass du da draußen etwas gefunden hast?“ Timothy und Rhovena spannten an, der letzte Funkspruch von Marquos ging anscheinend wirklich durch. Timothy musste sich etwas ausdenken. „Ja, das ist richtig. Vier Asteroiden, die so aus sahen wie Raumjäger. Aber es war nur falscher Alarm!“ Der Kontrolleur ließ sich mit seiner Antwort, für Timothys Gefühl, zu viel Zeit. Dann reagierte die Gegenstelle: „In Ordnung. Hangartore werden geöffnet. Willkommen daheim.“ Timothy lächelte zuversichtlich, bedankte sich knapp und beschleunigte in Richtung des Hafens.

Zurück zur Übersicht