Kapitel 1: Erwachen
Maik wacht unsanft aus seinem Fiebertraum, als jemand über seine ausgestreckten Füße stolperte. Die Person fing sich und lief ohne sich zu entschuldigen oder überhaupt Maik eines Blick zu würdigen, einfach weiter den Korridor entlang. Maik öffnete langsam unter schmerzen seine Blut unterlaufenen Augen. Die Flasche, die er selbst im Schlaf festhielt, führte er zu seinen Lippen um etwas zu trinken, doch nur ein paar Tropfen Alkohol blieben für ihn übrig. Seine durchzechte Nacht hallte in seinem Kopf wieder. Mühsam rappelt sich der dreißig jährige auf, warf die Flasche weg und klopfte seine dreckige Kleidung ab. Staub wirbelte auf und Maik musste husten. Dann überkam es ihm und er musste er sich zur Wand, an dem sein Kopf vorhin noch angelehnt hatte, umdrehen und übergab sich. Er richtete seinen Hut und blickte auf das Treiben um sich herum. Die Menschen auf der Alexa Station beachteten ihn nicht, denn er als Schnapsleiche ist hier keine Seltenheit. Seine Sinne kamen wieder zurück. Das Neonlicht der Reklametafeln drückte sich in seine Augen und der Lärm der Station an seine Ohren. „Ein Schmerzmittel wäre jetzt genau das richtige”, dachte sich Maik, aber dafür hatte er kein Geld.
Er streckte sich und schob den linken Ärmel seiner Jacke auf um einen besseren Blick auf sein Augmented-Reality Armband, welches er an seinem Handgelenk trug, zu bekommen. Mit einer Fingergeste über dessen Linse erwachte vor ihm ein AR-Display mit allen wichtigen Informationen. Die neusten News, sein Postfach und sein Kontostand. Jeder im Imperium trug selbstverständlich so ein Gerät. Sein Kontostand war immer noch im negativen. In den Nachrichten war schon wieder von Piratenangriffen im Venezia Gürtel die Rede. Dazu gesellten sich Nachrichten von der imperialen Kommission für Industrielle Angelegenheiten. Die renommierte Solaire Bergbaugesellschaft wurde erneut für ihre Rekordleistungen am ausgehöhlten Planeten Prillum geehrt. Wirtschaftsanalysten sind von der aufstrebenden Regolith beeindruckt. Und dessen Firmenleitung verkündete das sie erneut ihre Flotte erweitern werden. Neben Sportberichten schloss der Storm an Nachrichten mit einer Reihe von Impressionen des Heimatplaneten und dem utopisch wirkenden Planeten Monad. Die Alexa Station umkreiste diesen in mehrere tausende Kilometer höhe. Maik beendete die Flut an Nachrichten mit einem Knopfdruck und bemerkte wie genau in diesem Moment eine Nachricht von einem Rechtsanwalt in seinem Postfach eintraf. „Wahrscheinlich wieder eine Rechnung“, dachte er sich, aber drückte dennoch darauf um sie von seinem Gerät abspielen zu lassen: „Sehr geehrter Maik Rendall, ich bin Rechtsanwältin Gansley. ich muss Ihnen leider mitteilen das ihr Freund Jonash Malouf bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Es geht um seine Hinterlassenschaften und sein Letzter Wille. Bitte wenden Sie sich bei nächster Gelegenheit bei mir im Büro auf der Alexa Station.“ Dann beendete sich die Wiedergabe automatisch. Maik war schockiert über die Nachricht aber nun im Klaren, warum er in letzter Zeit keine Nachrichten mehr von seinem Freund bekam. Maik kam bei einem Schnellimbiss vorbei und bestellte das Übliche, ein Hotdog und ein Kaffee. Wie üblich rutschte sein Kontostand weiter ins Minus. Er setzte sich auf einen der Barhocker und ging gedankenverloren seine Notizen, die auf seinem ARA gespeichert waren, durch.
Maik erinnerte sich noch gut wie er als Zehnjähriger an die Alessia-Morgan Schule kam. Es musste eine prestigeträchtige Schule gewesen sein, schließlich wurde sie nach der ersten Herrscherin des Monadi Imperiums benannt. Die Schule war strickt und als Waisenkind hatte er im vornherein es schwer hier Anschluss zu finden. Die meisten Gleichaltrigen konnten seinen mangelnden Stand förmlich riechen und nur all zu häufig spielten sie ihn deswegen auf. Meist gingen die Lehrkräfte nur halbherzig dazwischen. Nur ein Klassenkamerad, Jonash war ihm freundlich gesinnt. Jonash und er waren seit jeher gute Freunde und sie trafen sich auch abseits der Schule. Eines Tages gingen sie auf einen Hügel außerhalb der Stadtmauern von Cetra. Hier hatte man Abends einen besonders guten Blick auf den Sternenhimmel von Monad und an jenem Abend konnte man gleichzeitig die beiden Monde sehen. Die Sterne funkelten wie kleine Diamanten am Himmel. „Meinst du wir werden jemals zu einen dieser fernen Sterne gelangen?“, fragte Maik Jonash. Der andere Junge grübelte und überlegte lang, gab dann eine fundierte Antwort: „Wenn wir bedenken, dass der nächste Stern etwa 10 Parsecs von Hepthar entfernt ist und der fortschrittlichste Sprungantrieb gerade einmal ein halbe Lichtgeschwindigkeit erreichen kann bevor er ausbrennt…“ Jonash seufzte und fuhr entmutigt fort: „bräuchten wir Monadi eine verdammt lange Zeit. Ein Lebensjahr würde dafür nicht ausreichen. Aber warum auch, unser Sternensystem ist auch schon groß genug für uns, meinst du nicht auch?“ Maik stimmte dem zu und kramte aus seiner Umhängetasche zwei Alkoholflaschen hervor, eine davon überreichte er seinem Freund. Jonash schaut ihn argwöhnisch und mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Er fragte ihn: „Woher hast du denn den Kram? Das ist für uns jugendliche verboten!“ Maik lachte: „Ach komm jetzt hab dich nicht so. Nur für den heutigen Abend. Niemand muss davon erfahren. Was meinst, lass uns auf unsere Reise zu den Sternen anstoßen?“ Jonash roch an seiner Flasche und verzog sein Gesicht. Dann blickte er in Maiks Gesicht, grinste und prostete ihm zu: „Abgemacht, wir werden gemeinsam nach den Sternen greifen.“
Maik spülte sein Hotdog mit dem Rest seines Kaffees herunter. Er schaute nochmal auf die Nachricht vom Rechtsanwalt, schob den mitgeschickten Standort des Büros in den Vordergrund und ließ daraufhin eine Route von seinem ARA berechnen. Die erste Route würde die Stationsbahn benutzen und würde nur wenige Minuten dauern. Er war allerdings kein registrierter Bewohner der Station und die Benutzung würde ihn etwas kosten. Maik ließ sich die nächste Route berechnen. Diese führte über eine Vielzahl an Korridoren und Zugangsschächten die ihm eine Stunde Zeit kosten würde. Er stand von seinem Hocker auf, verabschiedete sich vom Hotdog-Verkäufer und machte sich auf. „Ein guter Spaziergang wird dir gut tun“, sagte er zu sich. Im laufe seiner Spaziergangs kamen ihm immer weniger Leute entgegen, aber auch die Leuchtreklamen wurden immer weniger was ihn zu erst beruhigte. Dann führte ihn sein ARA durch einen der ärmeren Sektionen, wo man lieber nicht durchgehend sollte. Hier war Beschaffungskriminalität an der Tagesordnung und kein Wachpersonal weit und breit. Selbst die Luft die er hier atmete war stickig und so dünn das man befürchten konnte, ob die Luftfilter hier überhaupt noch funktionieren. Maik war nun im tiefsten inneren der Station, wo er als Streuner eigentlich auch hingehörte. Selbst wenn er sich hier ein Apartment leisten konnte, bevorzugte er lieber die Korridore an den Docks, wo er heute Morgen erst wieder aufgewacht war. Denn dort war er den Sternen, hinter denen seit er klein her war, am nächsten. Er ging weiter und versuchte das hiesige Elend durch das er watete auszublenden, genauso wie der Kerl der ihn aus seinem Fiebertraum getreten hatte. Maik wanderte weiter durch die Station und kam wieder in angenehmere Gefilde. Vor dem Büro des Rechtsanwalt blieb er stehen. Er atmete tief aus und betrat das Gebäude. Der Sekretär stand hinter seinem Bürotisch auf und begrüßte Maik freundlich: „Willkommen bei Rechtsanwältin Gansley, bitte nehmen Sie platz. Die Anwältin ist gerade in einer Besprechung, wen darf ich ankündigen?“ Maik stellte sich und sein Anliegen vor. Der Sekretär drückte ihm sein bedauern aus. Maik winkte ab und ließ sich auf eine der Sitzbänke nieder. Er war neben dem Sekretär die einzige Person im Vorraum. Ein Haufen digitaler Magazine stapelten sich neben ihm, auf einem Beistelltisch, auf. Die Wände waren mit animierten Bildern dekoriert, welche die Anwältin bei offiziellen Anlässen zeigten. Maik kniff sich seine Nase und ließ sich sacken. Seine Gedanken wanderten wieder zu seinem Freund.
Jonash und Maik konnten gemeinsam die Alessia-Morgan Schule abschließen. Während Jonash ein Stipendium für die Langley Raumakademie aufgrund seiner überragenden Leistungen im Sport- und Physikunterricht bekam, hatte die Imperiale Kommission für Maik dies nicht vor. Sie empfahl ihm einen handwerklichen Werdegang. Maik brillierte lediglich in Materiallehre, seine Leistungen in den anderen Kursen reichten lediglich dafür das er den Abschluss machen konnte. Maik wusste das die Empfehlung der Kommission nicht in Frage gestellt werden solle und so musste er mit ansehen wie Jonash ihren Traum weiter verfolgen konnte. Für ihn war der Traum geplatzt. Während Jonash erweiterte Kurse in der Akademie belegen konnte, musste Maik sich bei Reparaturfirmen bewerben. Zwei Jahre später hatte Jonash die Akademie abgeschlossen und wurde für den Dienst im Imperium empfohlen. Hier durfte er auf Raumschiffen dienen und für Ordnung und monadische Gerechtigkeit sorgen. Maik fand eine Festanstellung bei der Halcyon Mechanik und wurde zu einem hochangesehener Mitarbeiter. Er wurde auf den Schiffswerften im Orbit von Ulma, dem Wassermond von Monad, als fähigen Mechaniker eingesetzt. Hier konnte er hautnah miterleben was es bedeutete in Schwerelosigkeit zu arbeiten, aber doch sehnte er den Schiffen hinterher, die hier vom Stapel liefen. Die beiden Freunde, auch wenn sie noch nie zuvor so weit von einander Entfernt waren versuchten sich so häufig wie es ging zu treffen. Auf dem Hügel bei Cetra verabredeten sie sich und schwärmten davon wie gut sie es hatten. Beide waren nun erwachsen und konnten ohne Probleme Alkohol erwerben. Jonash berichtete davon wie stressig seine Arbeit war und beneidete seinen Freund. Maik sah es genau anders herum. Auf seiner Arbeit, auch wenn sie gut und wichtig war, langweilte er sich und beneidete Jonash. An einem Abend, vor einem Jahr, meinte Jonash das er genug von seiner Arbeit im Raumdienst hatte und sich einen Traum erfüllen wollte. Er weihte Maik ein: „Ich habe von einer Bekanntin gehört, das es da eine neue aufstrebende Firma gibt die im Venezia Gürtel operiert. Sie meint ich könne da Kapitän meines eigenen Schiffs werden wenn ich für diese nur hart genug arbeite“, Jonash nahm sich eine weitere Flasche aus dem Kühler: „Ich sag dir, 14 Monate für Regolith schuften und das Schiff ist meins. Dann kann ich dich mitnehmen und wir fliegen wo immer es uns hintreibt!“ Maik lachte schallend. Und fragt seinen Freund resigniert: „Und du meinst das geht so einfach, ja? Unabhängigkeit für das einfache arbeitende Volk wie uns?“ Jonash tauschte Maiks leere Flasche mit einer vollen aus und scherzte: „Wirst schon sehen wenn ich vor deiner Haustür lande!“ Dann stießen sie mit ihren Flaschen an und schauten Richtung Panee, dem grauen Mond von Monad.
„Herr Maik Rendall?“, sprach der Sekretär ihn an und er kam wieder im Jetzt an. Maik schüttelte sich und blickte zum Sekretär fragend auf. Dieser fuhr fort: „Die Rechtsanwältin empfängt sie nun.“ Maik stand auf und ging zielstrebig auf das nun geöffnete Anwaltszimmer zu. Dieses Zimmer war getäfelt. Ein großer Schrank gefüllt mit antiquierten Papierbüchern war dem großen hölzernen Tischs in der Mitte des Raumes gegenübergestellt. Am Tisch erhob sich Anwältin Gansley mit einem freundlichen lächeln. Sie sprach ihn professionell an: „Bitte, nehmen sie Platz, Herr Maik Rendall.“ Maik setzte sich aufgefordert hin und Gansley tat es ihm nach. „Möchten sie etwas trinken?“ Maik bat um ein schwarzen Kaffee und Gansley bat daraufhin den Sekretär um zwei Kaffees woraufhin dieser die Tür schloss. Die Anwältin ergriff das Wort: „Es freut mich das sie so schnell gekommen sind. Wie ich schon Eingangs erzählt haben, ist der Herr Jonash Malouf verstorben und hat ihnen eine Hinterlassenschaft vermacht. Aber lassen wir ihn selbst reden.“ Maik schüttelte sich beim Gedanken seinen toten Freund aus seinem Grab zu hören. Gansley legte ein Datenträger in ein Abspielgerät auf dem Tisch ein und drückte ein Knopf woraufhin die Stimme von Jonash den Raum einnahm. „Hey Maik. Weißt du noch von unserem gemeinsamen Traum die Sterne zu entdecken? Tja, und da du nun diese Nachricht hörst habe ich das Nirvana gefunden. Weißt du eigentlich wie seltsam es ist sein letzten Willen zu diktieren?“, Maik erkannte Jonashs trockenen Humor und ließ seinen alten Freund einen kurzen Moment. „Wie dem auch sei. Ich hatte dir ja von dem Regolith Unternehmen erzählt. Die Vorarbeiterin, Sabrine Zoyta, meinte es wäre eine gute Idee dass ich diese Nachricht hier verfasse, falls mir etwas passiert. Ich hatte echt Glück das ich nachdem ich aus dem imperialen Dienst ausgeschieden bin ein Schiff bei denen leasen konnte. ch möchte gerne dieses Glück mit dir teilen, damit du nicht mehr auf einer Raumstation herumstreunst, sondern in mitten der Sterne leben kannst. Bitte pass gut auf meine Alte Lady auf. Frag bei der Regolith nach, die haben ein Peilsender und können dir genau sagen wo sich das Schiff befindet. Bleib so wie du bist. Wir werden uns wiedersehen.“ Der Datenträger wurde ausgeworfen und Gansley schob diesen Maik zu. Maik schluckte schwer und strich sich ein paar Tränen aus seinem Gesicht. Ermattet blickte er vom Datenträger zur Anwältin und steckte dann diesen in seine Jackentasche. „Ich benötigte noch ein paar Unterschriften von ihnen“, sagte Gansley zu ihm, während sie digitale Dokumente auf dem Tisch ausbreitete. Mit ihrem Finger deutete sie auf Markierung im Dokument und er unterschrieb mit seinem Daumenabdruck. Zehn Unterschriften später, übertrug sie, mit einer wischenden Fingergeste, die Kopien der signierten Dokumente auf Maiks Armband. „Vielen dank Herr Maik Rendall. Das wäre dann alles. Falls sie weiteren rechtlichen Beistand benötigen scheuen sie sich nicht, mich zu kontaktieren“, sprach sie gut meinend zu Maik und schickte ihm ihre Kontaktdaten. Dann erhob sie sich und öffnete heraus ladend ihm die Tür. Maik erhob sich und dankte ihr. Der Sekretär empfing ihn und wünschte beim hinausbegleiten noch alles gute. Maik blickte, als er wieder in dem Korridor stand, noch einmal in die Richtung des Büros und bemerkte erst jetzt, dass der angebotene Kaffee lediglich Symbolcharakter hatte.